Weltweit steckt die Luftfahrt in der grössten Krise ihres Bestehens. Und dies in einer Zeit, in der die Politik und die Gesellschaft von der Luftfahrt gleichzeitig grosse Investitionen in die Nachhaltigkeit erwartet. Um wichtige Schritte in Richtung Klimaneutralität zu machen, sind umfassende Investitionen erforderlich. Doch die Finanzierung gestaltet sich in der aktuellen Krise als sehr schwierig, denn der Fokus liegt derzeit auf der Sicherung der Liquidität.
An der Werkstatt Basel «Back to Cockpit» der Handelskammer beider Basel und der Initiative Alliance GloBâle von Ende Oktober, ging es denn auch genau darum, gemeinsam mit Fachspezialisten aus der Luftfahrtbranche, der Politik und Wirtschaft Lösungsansätze zu diesen Herausforderungen zu diskutieren. Aufgrund der steigenden Corona-Fallzahlen wurde das Publikum erstmals virtuell in dieses interaktive Veranstaltungsformat der Handelskammer beider Basel eingebundenen. Vor Ort im Saal San Francisco des Congress Centers diskutierte ein hochkarätiges Podium: Thomas Haagensen, Country Director EasyJet Schweiz und Deutschland, Renato Rossi, Vize-Präsident Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Basel-Mülhausen, Cord Schellenberg, Luftfahrtexperte aus Hamburg (per Video zugeschalten), Matthias Suhr, Direktor EuroAirport Mulhouse Freiburg, Regierungsrat Thomas Weber, Vorsteher Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion des Kantons Basel-Landschaft und Marcel Zuckschwerdt, stellvertretender Direktor Bundesamt für Zivilluftfahrt. Aus dem Backing waren neben Handelskammer-Direktor Martin Dätwyler, ausserdem Lorenz Amiet, Präsident der IG EuroAirport sowie Daniel Egloff, Direktor von Basel Tourismus in die Diskussion eingebunden.
Grosse technologische Fortschritte, aber fehlende Liquidität
Laut dem deutschen Luftfahrexperten Cord Schellenberg hat sich in den letzten Jahren aus technologischer Hinsicht sehr viel bewegt. Er nannte grosse technologische Fortschritte, wie den Einsatz von Wasserstoff oder synthetischen Treibstoffen zum CO2-armen Antrieb von Flugzeugen. Diese Pläne würden aber leider heute unter ganz anderen Vorzeichen als vor der Corona-Krise stehen: «Die Terminals an den Flughäfen sind leer. So rechnet etwa die Lufthansa Gruppe für den Winter 2020 mit 20 Prozent der Passagiere des Winters 2019. Die deutsche Airline beziffert den Mittelabfluss auf eine Million Euro alle zwei Stunden.» Die Schicksalsfrage lautet also gemäss Schellenberg für alle, woher in diesen Krisenzeiten die Investitionen für nachhaltige Technologien kommen sollen. Am besten aufgestellt seien die Low-Cost-Carrier wie etwa Wizz Air und Easy Jet, da sie sehr tiefe Kostenstrukturen hätten. Diese Fluggesellschaften würden weiterhin den sogenannten «Visiting Friends and Relatives Verkehr» in Europa sicherstellen. Und weiter: «Aber selbst diese Airlines müssen derzeit ihre Flugzeug-Flotte abbauen.» Dagegen gehe es der Luftfracht verhältnismässig gut, da das Geschäftsmodell aus drei Gründen intakt sei: «Erstens ist die Nachfrage vorhanden. Infolge der reduzierten Linienflüge kann zweitens weniger Fracht im Bauch der Passagierflugzeugen transportiert werden. Zudem macht man sich bereit für den Transport von Impfstoffen.»
Fliegen in Pandemiezeiten heisst Masken-Tragen
Fliegen in Pandemiezeiten bedeutet laut Schellenberg das Masken-Tragen und für die Airlines sehr häufiges Reinigen. An den Flughäfen werde die Hygiene noch wichtiger. Dank eines breiten Einsatzes von Schnelltests werde man vor Reiseantritt prüfen können, ob ein Passagier fliegen könne und nach der Rückkehr könne man testen, ob er in die Quarantäne müsse. Gewisse Infrastrukturen müssten angepasst werden, damit die Abstände eingehalten werden könnten, sobald die Passagierzahlen wieder steigen. Auch Flughäfen sind laut Schellenberg gefordert, wie sie trotz des gestiegenen Aufwandes Geld verdienen können: «First-Class Passagiere werden wahrscheinlich mehr bezahlen für mehr Abstand, was durch eine gesonderte Abfertigung sichergestellt werden kann. Auch das Angebot, mit Limousinen «sicher» zum Flugzeug gefahren zu werden, kann zusätzliche Einnahmen generieren.» Ohne staatliche Hilfe wird es aber laut Schellenberg nicht gehen: «In Europa sind 200 Flughäfen von der Insolvenz bedroht.»
Der EuroAirport hat im 2020 2,5 statt 9 Millionen Passagiere
Country Director von EasyJet, Thomas Haagensen, geht davon aus, dass die Kapazitäten erst wieder in drei oder vier Jahren auf dem alten Niveau sein werden: «Von Juli bis September 2020 waren die Kapazitäten 40 Prozent weniger als im Vorjahr. Für Oktober bis Dezember planen wir mit 25 Prozent der letztjährigen Kapazitäten. Unser Fokus liegt im Moment auf dem Überleben und auf der Sicherung der Liquidität.» Ähnlich, aber nicht ganz so dramatisch, klingt es beim Direktor des EuroAirports, Matthias Suhr: Wir haben bis heute ein Minus der Passagierzahlen von ca. 70%. Bei uns stammen 80 Prozent der Einnahmen aus dem Passagierverkehr und 20 Prozent aus dem leicht gewachsenen Frachtverkehr sowie aus der Industrie. Insgesamt haben wir einen grossen Anstieg der Kosten bei gleichzeitig starkem Passagierrückgang – statt 9 Millionen werden in diesem Jahr nur rund 2,5 Millionen über den EuroAirport an- oder abreisen. Zudem haben wir erhöhte Sicherheitskosten, da wir beispielsweise die Warteschlangen vor den Personenkontrollen minimieren, mehr Busse einsetzen und mehr für die Reinigung ausgeben. Zudem haben wir auf der französischen Seite eine Teststation eingerichtet.»
Krise schenkt der Natur und der Bevölkerung eine Verschnaufpause
Der Vizepräsident des Schutzverbandes, Renato Rossi, kann der Krise etwas Positives abgewinnen: «Die Natur und die Menschen in der Nähe des Flughafens haben eine kleine Verschnaufpause.» Und weiter: «Das löst aber natürlich die Probleme nicht. Wir müssen schon heute darüber nachdenken, welche Massnahmen nach der Krise umgesetzt werden müssen, um dann konkrete Fortschritte bezüglich des Lärms und der Nachhaltigkeit zu machen.»
Martin Dätwyler, Direktor der Handelskammer beider Basel, warf die Frage auf, ob nicht gerade jetzt auch der Zeitpunkt für den Flughafen und die öffentliche Hand sei, Projekte wie der Bahnanschluss voranzutreiben, um unter neuen Rahmenbedingungen wieder durchstarten zu können. Laut Marcel Zuckschwerdt, stellvertretender Direktor Bundesamt für Zivilluftfahrt, läuft das Bahnprojekt wie geplant weiter: «Da es aber auf französischem Boden umgesetzt wird, ist die Schweiz nicht alleine im Lead und vor allem auch in der Finanzierungsfrage auf den französischen Partner angewiesen.» Trotz der Reduktion der Investitionen im 2020 auf einen Fünftel der geplanten Investitionen, setzt sich der Flughafen gemäss Matthias Suhr weiterhin in seinen Wirkungsmöglichkeiten für den Bahnanschluss ein, investiert in CO2-neutrale Elektrizität und in eine nachhaltige Heizungsanlage.
«Wir alle haben es selber in der Hand, der Flugbranche unser Vertrauen zu schenken»
Vom virtuell zugeschalteten Publikum kam die Frage auf, ob nun nicht die Gelegenheit wäre, das Fluggeschäft auf ein nachhaltiges Niveau zu senken – zum Beispiel auf die Hälfte des letztjährigen Volumens. Laut Suhr funktioniert dies nicht, da die Schweiz als sehr exportorientierte Wirtschaft jeden zweiten Franken im Ausland verdient. Und weiter: «Wertmässig wird fast die Hälfe der Schweizer Fracht als Flugfracht transportiert. Und davon kommt über 60 Prozent der Fracht aus der Pharma und diese Nachfrage wird weiter da sein und müsste dann auf andere Plattformen ausweichen. Der Luftverkehr bleibt zudem eine wichtige Mobilitätsform. Die Nachfrage bleibt und die Leute werden einfach andere Flughäfen für ihre Flugreise nutzen.» Regierungsrat Thomas Weber betonte zudem die Bedeutung eines erstklassigen Flughafens als wichtigen Faktor im internationalen Standortwettbewerb: «Eine gute internationale Anbindung kann etwa den Ausschlag für ein Unternehmen in den Life Sciences geben in der Frage, ob es sich etwa im Bachgraben in Allschwil oder in Boston ansiedelt. Und bei diesen Entscheiden geht es oft um sehr viele Arbeitsplätze für unserer Region.»
Laut Martin Dätwyler ist «Back to Cockpit» ein langer und steiniger Weg: «Vielleicht braucht es neue Rahmenbedingungen und es wird dennoch nötig, dass der Staat der Luftfahrt unter die Arme greift. Zudem sind auch Qualitätsansprüche im Raum, die von verschiedensten Seiten gestellt werden. In dieser Hinsicht ist es wichtig, dass wir nicht mit Gebühren oder Auflagen die künftige Erholung bremsen, sondern Anreize zur Umsetzung dieser Qualitätsansprüche setzen. Wir alle haben es selber in der Hand, der Flugbranche unser Vertrauen zu schenken, sie sowohl mit guten Rahmenbedingungen wie auch ideell zu unterstützen – etwa als Unterstützer der in unserer trinationalen Region gut verankerten Initiative Alliance GloBâle.
Comments