Alliance GloBâle im Interview mit Matthias Suhr, Direktor des EuroAirports, über vergangene und zukünftige Massnahmen zur Reduktion des Fluglärms. Er ist überzeugt, dass der Flughafen seinen Anspruchsgruppen eine gewisse Sicherheit geben sollte, wieviel Lärm in Zukunft akzeptiert wird. Aus diesem Grund möchte der EuroAirport die Idee von begrenzenden Lärmkurven, die der Flughafen Genf in ähnlicher Form bereits eingeführt hatte, umsetzen. Matthias Suhr erzählt zudem, was die seit Februar geltenden neuen Flugregeln ab 23 Uhr bisher gebracht haben.
Bild: Matthias Suhr, Direktor des EuroAirports
Wir starten mit einer persönlichen Frage: Ob Lärm stört oder nicht, ist ja bekanntlich subjektiv. Welcher Lärm stört Sie am meisten?
Was ich nicht mag, ist unerwarteter Lärm.
Können Sie ein Beispiel machen?
Ich war mal in einem Hotel in den Ferien und musste feststellen, dass auf dem Nachbarsgelände eine äusserst lärmige Grossbaustelle war. Dabei habe ich dieses Hotel an dieser Lage gerade wegen der Ruhe ausgesucht. Die einzige Lösung bestand darin, das Hotel zu wechseln.
Diskussionen rund um den Lärm gehören zum täglichen Brot jedes Flughafens. Wenn Sie einige Jahre zurückblicken, was hat der EuroAirport zur Lärmreduktion unternommen?
Das Thema Lärmreduktion begleitet den Flughafen schon seit Jahrzehnten. Wir haben früh dafür gesorgt, dass sehr laute Flugzeuge am Flughafen verboten wurden. Seit vielen Jahren erheben wir zudem lärmabhängige Gebühren für die Airlines. Das heisst, dass Airlines für leisere Flugzeuge weniger Gebühren als für lärmigere Maschinen bezahlen müssen. Die Gebühren sind je nach Tageszeit auch unterschiedlich ausgestaltet. In den letzten Jahren ist es uns unter anderem auch deshalb gelungen, den Anteil der leiseren Flugzeuge deutlich zu steigern. Zudem wurden die An- und Abflugverfahren betreffend Lärmauswirkungen laufend optimiert. Im Januar 2019 haben wir die neusten GPS gestützten Verfahren eingeführt. Darüber hinaus gelten am Flughafen natürlich auch Restriktionen bezüglich der Start- und Landezeiten. So gibt es auch Vorgaben bezüglich des minimalen Steigwinkels und dass nur gewisse Modelle von Flugzeugen heikle Abflugverfahren fliegen dürfen. Das ist alles aber nur ein Auszug von Massnahmen, mit denen wir die Lärmauswirkungen reduzieren konnten. Bei allen Massnahmen geht es uns darum, insbesondere den störenden nächtlichen Fluglärm zu reduzieren. Hier haben wir im Februar eine wichtige Etappe erreicht mit dem Verbot von geplanten Abflügen nach 23 Uhr.
Vom Flughafen zu den Airlines: Was können diese beitragen?
Sie können moderne Flugzeuge beschaffen. Wir haben das Glück, dass mit easyJet und Wizz Air zwei grosse Airlines am EuroAirport stationiert sind, die über eine sehr junge und somit leise Flotte verfügen. Zu den leisen Flugzeugen zählen etwa der Airbus A320neo, die Boeing 737 MAX oder der Embraer e2. Was auch wichtig ist, dass die Flugzeuge über die technische Ausrüstung verfügen, die GPS gestützten An- und Abflugverfahren zu fliegen, da der Flug nach Sicht eine grosse Streubreite hat.
Am 1. Februar 2022 trat das neue Betriebsreglement in Kraft, das zusätzliche Massnahmen zur Lärmreduzierung enthält. Warum brauchte das Verfahren, das dazu führte, fast vier Jahre?
Für die Einführung dieser Massnahme musste ein sogenannter ausgewogener Ansatz verfolgt werden. Mit diesem europäisch vorgeschriebenen Verfahren haben wir Neuland betreten, da dieses Verfahren weder in der Schweiz noch in Frankreich je durchgeführt wurde. Auch die EU Kommission, die das Dossier prüfen musste, hat das Verfahren so noch nie durchgespielt. Wir haben in dieser Sache also Pionierarbeit geleistet, was sich unter anderem auch auf die Länge des Verfahrens auswirkte. Wenn ein Flughafen heute dieses Verfahren wählt, dann wird der Prozess sicherlich rascher gehen, da die Behörden nun Erfahrung damit haben.
Und welche Massnahmen wurden nun tatsächlich umgesetzt?
Wir haben zwei Massnahmen umgesetzt: Ein Verbot geplanter Starts zwischen 23 Uhr und Mitternacht und ein Verbot von Starts und Landungen besonders lauter Flugzeuge zwischen 22 Uhr und Mitternacht sowie zwischen 5 und 6 Uhr, also während der gesamten Nachtzeit.
Was sind die ersten Erfahrungen mit den neuen Betriebseinschränkungen?
Die ersten Reaktionen bei der Prüfung dieser Massnahmen waren sehr unterschiedlich. Zum einen positiv zum anderen auch kritisch. Kritik kam sowohl von den Anrainerorganisationen wie auch von den Airlines. Die ersten Ergebnisse aus den Monaten Februar und März zeigen aber nun, dass die neuen Betriebseinschränkungen eingehalten werden und wir nur wenige verspätete Starts nach 23 Uhr haben. Wir haben in den ersten beiden Monaten zwischen 80 und 90 Prozent weniger Flugbewegungen nach 23 Uhr im Vergleich zu früheren Jahren. Im April hatten wir demgegenüber einen weniger starken Rückgang der Flugbewegungen nach 23 Uhr, was unter anderem durch ungünstige Windverhältnisse und einen Sturm verursacht wurde. Verspätete Abflüge sind erlaubt, wenn die Verspätungen nicht im Einflussbereich der Airlines liegen. Wir sind aber vorsichtig mit der Interpretation der ersten Zahlen, ein Fazit können wir erst wirklich nach einem Jahr ziehen.
Viele Flüge, die nun nicht mehr nach 23 Uhr stattfinden, wurden bekanntlich in das Zeitfenster von 22 bis 23 Uhr vorverschoben. Wie gehen Sie damit um?
Es ist in der Tat so, dass viele Flüge, die nicht mehr nach 23 Uhr stattfinden können, in die Zeit zwischen 22 und 23 Uhr vorverschoben wurden. Wir sind deshalb daran, zu prüfen, mit welchen Massnahmen verhindert werden kann, dass sich der Lärm zwischen 22 und 23 Uhr erhöht.
Seit September 2021 können mit dem WebReporting und Travis die Lärm- und Bewegungsstatistiken des EuroAirports auf einer Internet-Plattform konsultiert werden. Was sind die Erfahrungen damit?
Mit den beiden Tools WebReporting und Travis sind wir als Flughafen heute «State of the Art». Interessierte können sich nun jederzeit in «real time» über Lärmauswirkungen und Flugbewegungen orientieren. Natürlich sind diese Tools nicht perfekt und zusammen mit den Anrainerorganisationen haben wir auch Verbesserungen besprochen und wo möglich setzen wir diese auch um. Vor allem Personen, die sich regelmässig mit dem Fluglärm beschäftigen, haben sich mit diesen Tools vertraut gemacht und haben nun Zugang zu Informationen, die sie früher vom Flughafen erfragen mussten bzw. in dieser Vielfalt nicht hatten. Es gibt aber auch Personen, die den Flughafen weiterhin für Daten anfragen, da sie entweder keine Zeit für die Nutzung des WebReportings investieren wollen oder sich zu wenig mit dem neuen System auskennen.
Welche weiteren Massnahmen zur Lärmreduktion sind in den nächsten Jahren geplant?
Mit Massnahmen zur Lärmreduktion werden wir uns auch weiter aktiv befassen; sie bleiben eine Priorität des Flughafens in den nächsten Jahren. Wir sind der Überzeugung, dass der Flughafen seinen Anspruchsgruppen eine gewisse Sicherheit geben sollte, wieviel Lärm in Zukunft akzeptiert wird. Darum verfolgen wir die Idee von begrenzenden Lärmkurven, die in ähnlicher Form am Flughafen Genf bereits eingeführt wurden. Es braucht aber noch einige Zeit, bis die gesetzlichen Grundlagen für ein solches Lärmkorsett in Frankreich geschaffen sind.
Aufgrund der Pandemie haben sich die Menschen an die Ruhe am Himmel gewohnt. In den letzten Wochen haben die Anzahl Flüge deutlich zugenommen. Zudem halten sich die Menschen bei diesem schönen Frühlingswetter wieder mehr draussen auf. Was erwarten Sie in den kommenden Monaten bezüglich der Lärmreklamationen ?
Es ist sicher so, dass die Lärmsensibilität nach der Pandemie gewachsen ist, auch wenn der Flughafen in den letzten Jahren insgesamt weniger Lärm verursacht hat. Dieses subjektive Empfinden müssen wir als Flughafen auf jeden Fall ernst nehmen. Aus diesem Grund sind wir daran, die beschriebene Idee eines Lärmkorsetts mittelfristig umzusetzen und kurzfristige Massnahmen zur Lärmreduktion zwischen 22 Und 23 Uhr zu evaluieren.
Abschliessend vom Lärm zur betriebswirtschlichen Situation: Wie steht der EuroAirport heute da?
Ein wichtiges Thema ist bei uns nach zwei Jahren Pandemie in der Tat, wann wir wieder richtig auf die Beine kommen werden. Wir hatten wegen des krisenbedingten Einstellungsstopps fast 15 Prozent des Personals verloren. Wir haben nun wieder begonnen, neues Personal zu rekrutieren, damit wir die teils stark angestiegenen Operationen auch abdecken können. Wir hoffen, dass wir Ende Jahr betriebswirtschaftlich wieder so fit sind, dass wir die Investitionen tätigen können, die wir wegen der Pandemie sistiert hatten.
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